Abschnitt 1.1: Das Maßproblem


 

Die Dirichletsche Sprungfunktion auf dem Intervall \( [0,1] \) lautet \[ \chi_D(x) :=\left\{ \begin{array}{cl} 0, & \quad x\in[0,1]\cap\mathbb Q \\[0.4ex] 1, & \quad x\in[0,1]\setminus\mathbb Q \end{array} \right. \]

 

Aufgabe 1

 

Beweisen Sie, dass die Dirichletsche Sprungfunktion in keinem Punkt \( x\in[0,1] \) stetig ist.

 

→  Lösung

 

 

Aufgabe 2

 

Ist die Dirichletsche Sprungfunktion Riemannintegrierbar auf \( [0,1]? \) Begründen Sie.

 

→  Lösung

Lösung

 

Die Dirichletsche Sprungfunktion \( f\colon[0,1]\to\mathbb R \) ist auf \( [0,1] \) nicht Riemannintegrierbar. Zur Begründung wählen wir gleich eine spezielle Zerlegung \[ {\mathfrak Z}\,:\,0=x_0\lt x_1\lt x_2\lt\ldots\lt x_N=b \] von \( [0,1] \) und dazu zweimal verschiedene Zwischenwerte \( \xi_i\in[x_{i-1},x_i], \) \( i=1,2,\ldots,N. \) Auszuwerten ist jeweils die Riemannsche Zwischensumme \[ R(f,{\mathfrak Z},\xi)=\sum_{i=1}^Nf(\xi_i)(x_i-x_{i-1}) \] mit Zwischenvektor \( \xi=(\xi_1,\ldots,\xi_N). \) Außerdem ziehen wir das aus der Analysis 1 bekannte Grenzwertkriterium zur Riemannintegrierbarkeit heran: Es ist \( f \) auf \( [0,1] \) Riemannintegrierbar genau dann, wenn es ein \( I\in\mathbb R \) gibt, so dass für alle \( \varepsilon\gt 0 \) ein \( \delta(\varepsilon)\gt 0 \) existiert mit \[ |R(f,{\mathfrak Z},\xi)-I|\lt\varepsilon\quad\text{für alle Zerlegungen}\ {\mathfrak Z}\ \text{mit}\ \|{\mathfrak Z}\|\lt\delta(\varepsilon) \] und mit dem Feinheitsmaß \[ \|{\mathfrak Z}\|=\max\{x_1-x_0,x_2-x_1,\ldots,x_N-x_{N-1}\} \] der Zerlegung \( {\mathfrak Z}. \) In diesem Fall gilt \[ I=\int\limits_0^1f(x)\,dx. \] Nun zur eigentlichen Aufgabe: Angenommen, \( f \) ist Riemannintegrierbar mit dem Integralwert \( I. \) Wähle dann ein \( \varepsilon\lt\frac{1}{2} \) mit zugehörigem \( \delta=\delta(\varepsilon). \) Sei schließlich die Zerlegung \( {\mathfrak Z} \) von \( [0,1] \) gewählt mit \( \|{\mathfrak Z}\|\lt\delta(\varepsilon). \)

 

\( \circ \) Wähle einmal als Zwischenwerte von \( {\mathfrak Z} \) aussschließlich rationale Punkte \( \xi_i=p_i\in[0,1]\cap\mathbb Q \) für alle \( i=1,\ldots,N, \) so ist mit \( p=(p_1,\ldots,p_N) \)

\[ R(f,{\mathfrak Z},p)=\sum_{i=1}^Nf(p_i)(x_i-x_{i-1})=\sum_{i=1}^N(x_i-x_{i-1})=1. \]

\( \circ \) Wähle zweitens als Zwischenwerte von \( {\mathfrak Z} \) aussschließlich irrationale Punkte \( \xi_i=r_i\in[0,1]\cap\mathbb Q \) für alle \( i=1,\ldots,N, \) so ist mit \( r=(r_1,\ldots,r_N) \)

\[ R(f,{\mathfrak Z},r)=\sum_{i=1}^N0\cdot(x_i-x_{i-1})=0. \] Nun schätzen wir gemäß dem Grenzwertkriterium zur Riemannintegrierbarkeit (zweite Formelzeile) und unter Benutzung der Dreiecksungleichung wie folgt ab \[ \begin{array}{lll} 1\!\!\! & = & \!\!\!\displaystyle |R(f,{\mathfrak Z},p)-R(f,{\mathfrak Z},r)| =|R(f,{\mathfrak Z},p)-I+I-R(f,{\mathfrak Z},r)| \\[2ex] & \le & \!\!\!\displaystyle |R(f,{\mathfrak Z},p)-I|+|I-R(f,{\mathfrak Z},r)| \lt\varepsilon+\varepsilon\lt\frac{1}{2}+\frac{1}{2}=1. \end{array} \] Das ist aber ein Widerspruch, d.h. \( f \) ist nicht Riemannintegrierbar.\( \qquad\Box \)