21. Elementare Lösungsmethoden
21.1.1 Der Begriff der gewöhnlichen Differentialgleichnung
Eine gewöhnliche Differentialgleichung ist eine Gleichung, welche eine gesuchte Funktion \( y=y(x) \) und deren Ableitungen in Beziehung setzt, z.B. \[ y'(x)=y(x) \] mit der Lösungsvielfalt \[ y(x)=Ce^x,\quad C\in\mathbb R, \] was durch nachträgliches Differenzieren verifiziert werden kann.
Tritt, wie in diesem Beispiel, neben der gesuchten Funktion \( y(x) \) nur die erste Ableitung \( y'(x) \) auf, so heißt die Gleichung von erster Ordnung. Allgemeiner heißt eine Differentialgleichung der Form \[ y^{(n)}(x)=f(x,y(x),\ldots,y^{(n-1)}(x)) \] von \( n \)-ter Ordnung. Man bezeichnet sie ferner als explizit, falls die höchste Ableitung \( y^{(n)} \) explizit auftritt, wie in eben diesem letzten Beispiel. Im Gegensatz dazu heißt \[ F(x,y(x),y'(x))=0 \] mit einer allgemeinen Abbildung \( F\colon\mathbb R\times\mathbb R\times\mathbb R\to\mathbb R \) implizit.
Aufgabe 1: (Negatives exponentielles Wachstum)
Es sei \( a\in\mathbb R. \) Geben Sie eine Lösung folgender Differentialgleichung an \[ y'(x)=-a^2y(x). \] Führen Sie die Probe durch.
Eine Lösung ist \[ y(x)=Ce^{-a^2x} \] mit einer Integrationskonstante \( C\in\mathbb R. \) Es ist nämlich nach Differenzieren \[ y'(x)=-a^2Ce^{-a^2x}=-a^2y(x). \] Das war zu zeigen.\( \qquad\Box \)
Aufgabe 2: (Differentialgleichung der logistischen Funktion)
Verifizieren Sie, dass die logistische Funktion \[ y(x)=\frac{1}{1+e^{-x}}\,,\quad x\in\mathbb R, \] der folgenden Differentialgleichung genügt \[ y'(x)=\big[1-y(x)\big]y(x). \]
Wir formen nämlich die Ableitung \( y'(x) \) wie folgt um \[ y'=\frac{e^{-x}}{(1+e^{-x})^2} =\frac{e^{-x}}{1+e^{-x}}\cdot\frac{1}{1+e^{-x}} \] und beachten \[ 1-y=1-\frac{1}{1+e^{-x}}=\frac{e^{-x}}{1+e^{-x}}\,. \] Zusammenfassend ist also \[ y'=(1-y)y, \] was zu zeigen war.\( \qquad\Box \)
Aufgabe 3: (Verfizieren von Differentialgleichungen)
Verifizieren Sie, dass die Funktion \[ y(x)=\frac{1}{a}\,\cosh(ax+b)+c \] mit reellen Konstanten \( a,b,c\in\mathbb R \) Lösung folgender Differentialgleichungen zweiter Ordnung ist:
(i) | \( y''=a^2y-a^2c \) |
(ii) | \( y''=a\,\sqrt{1+y'^2} \) |
Zunächst berechnen wir die ersten beiden Ableitungen \[ y'=\sinh(ax+b),\quad y''=a\cosh(ax+b). \]
(i) | Wir ermitteln |
\[ y''=a^2\cdot\frac{1}{a}\,\cosh(ax+b) =a^2\cdot\left\{\frac{1}{a}\,\cosh(ax+b)+c\right\}-a^2c =a^2y-a^2c. \]
(ii) | Wegen \( \cosh^2x-\sinh^2x=1 \) bzw. \( \cosh^2x=1+\sinh^2x \) ist außerdem |
\[ y''=a\,\sqrt{1+\sinh^2(ax+b)}\,. \] Das war zu zeigen.\( \qquad\Box \)
21.1.2 Anfangswertprobleme und Randwertprobleme
In unserer Vorlesung werden wir hauptsächlich sogenannte Anfangswertprobleme betrachten. Ein Beispiel hierfür ist das Problem \[ \begin{array}{l} y'(x)=2y(x)\quad\mbox{in}\ [0,1] \\ \mbox{mit der Anfangsbedingung}\quad y(0)=1. \end{array} \] Es ist \( y(x)=e^{2x} \) eine Lösung dieses Problems, und, wie wir herausarbeiten werden, auch die einzige Lösung.
Wir werden auch spezielle Randwertprobleme für Gleichungen höherer Ordnung betrachten. Ein Beispiel hierfür ist das Problem \[ \begin{array}{l} y''(x)=y(x)\quad\mbox{in}\ [-1,1] \\ \mbox{mit den Randdaten}\quad y(-1)=\cosh 1,\ y(1)=\cosh 1. \end{array} \] Die einzige Lösung dieses Problems lautet \( y(x)=\cosh x. \)
Aufgabe 1: (Beispiel eines Anfangswertproblems I)
Verifizieren Sie, dass die Funktion \[ y=\sqrt{1+x^2} \] das Anfangswertproblem löst \[ yy'=x\quad\mbox{in}\ [0,1],\quad y(0)=1. \]
Wir berechnen \[ y'=\frac{2x}{2\,\sqrt{1+x^2}}=\frac{x}{\sqrt{1+x^2}}=\frac{x}{y} \quad\mbox{bzw.}\quad yy'=x. \] Außerdem ist \( y(0)=\sqrt{1+0}=1, \) was zu zeigen war.\( \qquad\Box \)
Aufgabe 2: (Beispiel eines Anfangswertproblems II)
Verifizieren Sie, dass die Funktion \[ y=\sin x \] das Anfangswertproblem löst \[ y''=-y\quad\mbox{in}\ [0,1],\quad y(0)=0,\ y'(0)=1. \]
Wir berechnen die ersten beiden Ableitungen \[ y'=\cos x,\quad y''=-\sin x, \] weswegen gilt \( y''=-y. \) Ferner sind \[ y(0)=\sin 0=0,\quad y'(0)=\cos 0=1, \] was die Anfangsbedingungen verifiziert.\( \qquad\Box \)
Aufgabe 3: (Beispiel eines Randwertproblems)
Verifizieren Sie, dass die Funktion \[ y=\cosh x,\quad x\in[-1,1], \] das Randwertproblem löst \[ y''=y\quad\mbox{in}\ [-1,1],\quad y(-1)=\cosh 1,\ y(1)=\cosh 1. \]
Wir berechnen die ersten beiden Ableitungen \[ y'=\sinh x,\quad y''=\cosh x, \] weswegen gilt \( y''=y. \) Ferner sind natürlich die Randbedingungen erfüllt \[ y(-1)=\cosh(-1)=\cosh 1,\quad y(1)=\cosh 1. \] Das war zu zeigen.\( \qquad\Box \)
1. | Was versteht man unter einer gewöhnlichen Differentialgleichung? |
2. | Wann heißt eine Differentialgleichung explizit, wann implizit? |
Nach Felixberger, J.K.: Chemie für Einsteiger genügt die Aktivität \( f(x) \) der radioaktiven Strahlung zum Zeitpunkt \( x\ge 0 \) der Gesetzmäßigkeit \[ f(x)=f_0\cdot\left(\frac{1}{2}\right)^\frac{x}{x_H} \] mit der Anfangsaktivität \( f_0 \) zum Zeitpunkt \( x=0 \) und der Halbwertszeit \( x_H\gt 0. \) Es ist \( f(x) \) Lösung der Differentialgleichung \[ f'(x)=-\,\frac{\ln 2}{x_H}\,f(x),\quad x\ge 0. \] Hierauf beruht beispielsweise die Kohlenstoff-14-Methode (Radiokarbonmethode) zur Altersbestimmung organischer Materialien mit der Halbwertszeit \( x_H=5730 \) Jahre des Nuklids C-14. Auflösen obiger Identität nach \( x \) liefert nämlich Alterszeit \[ x=\frac{\ln\frac{f(x)}{f_0}}{\ln\frac{1}{2}}\,x_H. \] Für den 1991 in einem abschmelzenden Gletscher in den Ötztaler Alpen gefundenen „Ötzi“ ergibt sich so ein Alter von etwa 5248 Jahren (ebd., Seiten 28-29).
Aufgabe 1: (Alterbestimmung von Ötzi)
Wir wollen die Identitäten aus diesem Paragraphen verifizieren und das Alter Ötzis bestimmen.
(i) | Verfizieren Sie, dass die obige Funktion \( f(x) \) der angegebenen Differentialgleichung genügt. |
(ii) | Leiten Sie aus dieser Differentialgleichung die Alterszeit \( x \) her. |
(iii) | Mit dem experimentell bestimmten Verhältnis |
\[ \frac{f(x)}{f_0}=\frac{53}{100} \]
(Anfangsaktivität 100%, Restaktivität 53% zum Zeitpunkt der Messung) ist das ungefähre Alter von Ötzi zu berechnen. |
Der von der Zeit \( x \) abhängige Auslenkungswinkel \( f(x) \) eines mathematischen Pendels genügt der Differentialgleichung zweiter Ordnung \[ f''(x)+\frac{g}{\ell}\,\sin f(x)=0 \] mit der Länge \( \ell\gt 0 \) des Pendels und der Schwerebeschleunigung \( g\gt 0. \) Diese Gleichung ist in Termen elementarer Funktionen nicht lösbar. Für hinreichend kleine Auslenkungen können wir allerdings folgende Approximation ansetzen \[ \sin f(x)\approx f(x) \] und erhalten so die neue Differentialgleichung \[ f''(x)+\frac{g}{\ell}\,f(x)=0 \] mit der Lösung \[ f(x)=f_0\sin\left(\sqrt{\frac{g}{\ell}}\,x+x_0\right) \] und Integrationskonstanten \( f_0 \) und \( x_0. \) Wir verweisen auf T. Fließbachs Monographie Mechanik.
Aufgabe 1: (Mathematisches Pendel ohne Reibung)
Verifizieren Sie, dass die Funktion \[ f(x)=f_0\sin\left(\sqrt{\frac{g}{\ell}}\,x+x_0\right) \] die Differentialgleichung löst \[ f''(x)+\frac{g}{\ell}\,f(x)=0. \]
Wir berechnen \[ f'(x)=f_0\,\sqrt{\frac{g}{\ell}}\,\cos\left(\sqrt{\frac{g}{\ell}}+x_0\right),\quad f''(x)=-f_0\,\frac{g}{\ell}\,\sin\left(\sqrt{\frac{g}{\ell}}+x_0\right) \] und damit \[ f''(x)+\frac{g}{\ell}\,f(x) =-f_0\,\frac{g}{\ell}\,\sin\left(\sqrt{\frac{g}{\ell}}+x_0\right)+\frac{g}{\ell}\,f_0\sin\left(\sqrt{\frac{g}{\ell}}+x_0\right) =0. \] Das war zu zeigen.\( \qquad\Box \)
Aufgabe 2: (Mathematisches Pendel mit starker Reibung)
Verifizieren Sie, dass die Funktion \[ f(x)=f_0e^{-\gamma x}\sinh\sqrt{\gamma^2-\frac{g}{\ell}}\,x,\quad \gamma^2-\frac{g}{\ell}\gt 0, \] die Differentialgleichung löst \[ f''(x)+2\gamma f'(x)+\frac{g}{\ell}\,f(x)=0. \]
Wir geben nur eine Beweisidee. Dazu berechnen wir \[ f'=-\gamma f_0e^{-\gamma x}\sinh\sqrt{\gamma^2-\frac{g}{\ell}}\,x+\sqrt{\gamma^2-\frac{g}{\ell}}\,e^{-\gamma x}\cosh\sqrt{\gamma^2-\frac{g}{\ell}}\,x \] sowie \[ \begin{array}{lll} f''\negthickspace & = & \negthickspace\displaystyle \gamma^2e^{-\gamma x}\sinh\sqrt{\gamma^2-\frac{g}{\ell}}\,x -2\gamma\,\sqrt{\gamma^2-\frac{g}{\ell}}\,e^{-\gamma x}\cosh\sqrt{\gamma^2-\frac{g}{\ell}}\,x \\ & & \negthickspace\displaystyle -\,\gamma\,\sqrt{\gamma^2-\frac{g}{\ell}}\,e^{-\gamma x}\cosh\sqrt{\gamma^2-\frac{g}{\ell}}\,x +\left(\gamma^2-\frac{g}{\ell}\right)e^{-\gamma x}\sinh\sqrt{\gamma^2-\frac{g}{\ell}}\,x. \end{array} \] Hiermit wertet man die Differentialgleichung aus und schließt auf die Behauptung.\( \qquad\Box \)
21.2.3 Das Friedmannsche Modell
Die von der Zeit \( x \) abhängige Radius- bzw. Skalenfunktion \( f(x) \) der Robertson-Walker-Metrik genügt unter gewissen relativistischen Annahmen der Differentialgleichung \[ \frac{1}{c^2}\,f'(x)^2-\frac{K_s}{f(x)^2}-\frac{K_m}{f(x)}-\frac{1}{3}\,\Lambda f(x)^2=-k. \] Hierin bedeuten \[ K_m=\frac{8\pi g}{3c^2}\,\varrho_{mat}\,f(x)^3=\mbox{const} \] eine Materiekonstante und \[ K_s=\frac{8\pi g}{3c^2}\,\varrho_{str}f(x)^4=\mbox{const} \] eine Strahlungskonstante, und \( c \) ist die Lichtgeschwindigkeit. Dieses sogenannte Friedmannsche Modell bestimmt unter den angedeuteten Annahmen die globale Dynamik unseres Universums. Das qualitative Lösungsverhalten hängt insbesondere vom Vorzeichen der kosmologischen Konstanten \( \Lambda \) ab.
Wir verweisen auf T. Fließbachs Monographie Allgemeine Relativitätstheorie.
Aufgabe 1: (Kosmologische Inflation)
Die Lösungen des Friedmannschen Modells besitzen zu Zeit \( x=0 \) eine Singularität. Innerhalb des Zeitraums von \( 10^{-36}s \) bis \( 10^{-33}s=10^{-36}s+\triangle x \) nach der Singularität \( x=0 \) soll sich das Universum exponentiell ausgedehnt haben (kosmologische Inflationstheorie). Um hiervon einen qualitativen Eindruck zu gewinnen, gehen wir wie folgt vor:
(i) | Mit \( \varrho_{mat}=0, \) \( \varrho_{str}=0 \) und \( k=0 \) ist zunächst die implizite Gleichung |
\[ \frac{1}{f(x)^2}\,f'(x)^2=\frac{c^2}{3}\,\Lambda=:H^2 \]
mit der Hubblezahl \( H \) herzuleiten. | |
(ii) | Alle hier auftretenden Größen seien positiv. Verifizieren Sie, dass vorige Gleichung gelöst wird durch |
\[ f(x)=C\cdot e^{Hx}\,,\quad C\in\mathbb R. \]
(iii) | Bestimmen Sie nun das Skalenverhältnis |
\[ \frac{f(10^{-36}s+\triangle x)}{f(10^{-36}s)}\approx e^{100} \]
unter der Annahme \( H\approx 10^{35}s^{-1}. \) |
Wir verweisen auf: Guth, A.: Die Geburt des Kosmos aus dem Nichts. Droemer Knaur, 1999.
(i) | Wir setzen \( \varrho_{mat}=0, \) \( \varrho_{str}=0 \) und erhalten \( K_{mat}=0 \) und \( K_{str}=0. \) Zusätzlich mit \( k=0 \) schreibt sich die dann Differentialgleichung des Friedmannschen Modells in der Form |
\[ \frac{1}{c^2}\,f'(x)^2-\frac{1}{3}\,\Lambda^2f(x)^2\quad\mbox{bzw.}\quad f'(x)^2=\frac{c^2}{3}\,\Lambda^2f(x)^2=H^2f(x)^2\,. \]
Nach Voraussetzung dürfen wir die Wurzel ziehen und erhalten |
\[ f'(x)=Hf(x) \quad\mbox{bzw.}\quad \frac{1}{f(x)}\,f'(x)=H \quad\mbox{bzw.}\quad \frac{d}{dx}\,\ln f(x)=H. \]
Diese Gleichung können wir wie folgt lösen |
\[ f(x)=C\cdot e^{Hx}\,,\quad C\in\mathbb R. \]
(ii) | |
(iii) |
21.2.4 Rotationssymmetrische Willmoreflächen
Willmoreflächen lassen sich als Approximation von Lösungen des sogenannten Helfrichproblems betrachten, welche die Gestalt zweidimensionaler Lipidmembranen modellieren. Die Hauptmeridiankurve \( f(x) \) einer rotationssymmetrischen Willmorefläche genügt folgender Differentialgleichung vierter Ordnung \[ \frac{f(x)}{\sqrt{1+f'(x)^2}}\,\frac{d}{dx}\left(\frac{f(x)}{\sqrt{1+f'(x)^2}}\,\kappa'(x)\right)-\kappa(x)+\frac{1}{2}\,\kappa(x)^3=0 \] mit der hyperbolischen Krümmung der Hauptmeridiankurve \[ \kappa(x)=\frac{f(x)f''(x)}{\big[1+f'(x)^2\big]^\frac{3}{2}}+\frac{1}{\sqrt{1+f'(x)^2}}\,. \] Auch diese Gleichung kann nicht elementar gelöst werden. Die Existenz spezieller Lösungen gelang unter Verwendung fortgeschrittener funktionalanalytischer bzw. maßtheoretischer Methoden. Wir verweisen auf
Helfrich, W.: Elastic properties of lipid bilayers - theory and possible experiments. 1973
Dall'Acqua, A.; Deckelnick, K.; Grunau, H.-C.: Classical solutions to the Dirichlet problem for Willmore surfaces of revolution. 2008
Aufgabe 1: (Geodätische Kurven im Halbebenenmodell)
Verifizieren Sie, dass obige hyperbolische Krümmung \( \kappa(x) \) identisch verschwindet für Halbkreisfunktionen \[ f(x)=\sqrt{1-x^2}\,,\quad x\in(-1,1), \] deren Bild geodätische Kurven im oberen hyperbolischen Halbebenenmodell darstellen.
Für \( x\in(-1,1) \) berechnen wir \[ f'(x)=-\,\frac{x}{\sqrt{1-x^2}}\,,\quad f''(x)=-\,\frac{1}{(1-x^2)^\frac{3}{2}} \] und damit \[ 1+f'(x)^2=1+\frac{x}{1-x^2}=\frac{1}{1-x^2}\,. \] Es folgt \[ \kappa(x) =-\,\frac{\sqrt{1-x^2}}{(1-x^2)^\frac{3}{2}\cdot\frac{1}{(1-x^2)^\frac{3}{2}}}+\frac{1}{\frac{1}{\sqrt{1-x^2}}} =-\,\sqrt{1-x^2}+\sqrt{1-x^2} =0. \] Das war zu zeigen.\( \qquad\Box \)
21.3.1 Das Definitionsintervall \( I \)
Wir studieren im Folgenden das Anfangswertproblem \[ y'(x)=f(x,y)\quad\mbox{in}\ I,\quad y(\xi)=\eta, \] auf einem reellwertigen Intervall \( I\subseteq\mathbb R \) mit \( \xi\in I. \) Hierbei darf \( I \) beschränkt und abgeschlossen, halboffen oder offen sein, oder auch unbeschränkt.
Ableitungen \( y'(x) \) haben wir in der Vorlesung Analysis 1 nur in inneren Punkten des Definitionsbereichs definiert. Im Fall von Randpunkten abgeschlossener Intervalle verstehen wir hierunter einseitige Ableitungen.
Ferner benötigen wir den Begriff des Riemannschen Integrals, den wir in der Vorlesung Analysis 2 nur auf kompakten Intervallen kennengelernt haben. Andernfalls werden wir hierunter das uneigentliche Riemannsche Integral, z.B. \[ \int\limits_a^bf(x)\,dx:=\lim_{\beta\nearrow b}\int\limits_a^\beta f(x)\,dx \] für Funktionen \( f\colon[a,b)\to\mathbb R \) - natürlich nur im Falle der Konvergenz der Integrale.
Wir werden das Intervall \( I\subseteq\mathbb R \) also nicht genau bestimmt vorgeben und nur dann spezifizieren, wenn es auch wirklich notwendig ist.
Aufgabe 1: (Uneigentliche Riemannintegrale)
Ermitteln Sie, falls existent, für die Funktion \[ f(x)=\sin x,\quad 0\lt x\lt\frac{\pi}{2}\,, \] das uneigentliche Riemannintegral \[ \int\limits_a^bf(x)\,dx. \]
Für alle \( 0\lt\alpha\le\beta\lt\frac{\pi}{2} \) berechnen wir \[ \int\limits_\alpha^\beta\sin x\,dx=-\cos x\,\Big|_{x=\alpha}^{x=\beta}=\cos\alpha-\cos\beta. \] Wir können also zu den Grenzwerten \( \alpha\searrow 0 \) und \( \beta\nearrow\frac{\pi}{2} \) übergehen und erhalten \[ \int\limits_0^\frac{\pi}{2}\sin x\,dx=\cos 0-\cos\frac{\pi}{2}=1. \] Damit ist alles gezeigt.\( \qquad\Box \)
21.3.2 Die Gleichung \( y'=f(x) \)
Es sei \( f\in C^0(I,\mathbb R). \) Ferner sei \( \xi\in I \) fest gewählt. Dann ist \[ \Phi(x):=\int\limits_\xi^xf(t)\,dt \] eine Lösung der Gleichung, denn nach dem Fundamentalsatz der Differential- und Integralrechnung ist \( \Phi'(x)=f(x). \) Alle Lösungen erhalten wir vermittels \[ y(x)=\Phi(x)+C,\quad C\in\mathbb R, \] denn wir verifizieren \[ y'(x)=\Phi'(x)+0=\Phi'(x)=f(x). \] Weitere Lösungen existieren nicht, denn wäre \( z(x) \) eine weitere Lösung, so berechnen wir \[ \frac{d}{dx}\,\big[z(x)-y(x)\big] =z'(x)-y'(x) =f(x)-f(x) =0 \] und damit mit einem \( \widetilde C\in\mathbb R \) \[ z(x)=y(x)+\widetilde C=\Phi(x)+C+\widetilde C=\Phi(x)+\mbox{const}. \] Die Integrationskonstante \( C\in\mathbb R \) in obiger Lösung \( y(x)=\Phi(x)+C \) kann durch eine Anfangsbedingung \( y(\xi)=\eta \) festgesetzt werden, genauer \[ y(\xi)=\Phi(\xi)+C=0+C=\eta\quad\mbox{bzw.}\quad C=\eta. \]
Beispiel: Alle Lösungen des Anfangswertproblems \[ y'(x)=e^x\quad\mbox{in}\ [0,1],\quad y(0)=1, \] gewinnen wir aus \[ y(x)=\int\limits_0^xe^t\,dt+\widetilde C=e^x-e^0+\widetilde C=e^x-1+\widetilde C=e^x+C \] mit der Integrationskonstanten \( C=0. \)
Aufgabe 1: (Gleichungen der Form \( y'=f(x), \) Teil I)
Wir betrachten die Differentialgleichung \[ y'=\sin x+x,\quad x\in\mathbb R. \]
(i) | Bestimmen Sie alle Lösungen dieser Gleichung |
(ii) | Bestimmen Sie die Lösung dieser Gleichung zum Anfangswert |
\[ y(0)=1. \]
(i) | Integration liefert |
\[ y(x) =\int\limits_\xi^x(t+\sin t)\,dt+\widetilde C =\frac{x^2}{2}-\cos x-\frac{\xi^2}{2}+\cos\xi+\widetilde C =:\frac{x^2}{2}-\cos x+C \]
mit \( C\in\mathbb R. \) Das sind alle Lösungen der Gleichung. | |
(ii) | Wir haben |
\[ 1=y(0)=0-\cos 0+C=-1+C \quad\mbox{bzw.}\quad C=2 \]
und erhalten als Lösung des Anfangswertproblems |
\[ y(x)=\frac{x^2}{2}-\cos x+2. \] Damit ist alles gezeigt.\( \qquad\Box \)
Aufgabe 2: (Gleichungen der Form \( y'=f(x), \) Teil II)
Wir betrachten die Differentialgleichung \[ y'=xe^{x^2}\,,\quad x\in\mathbb R. \]
(i) | Bestimmen Sie alle Lösungen dieser Gleichung |
(ii) | Bestimmen Sie die Lösung dieser Gleichung zum Anfangswert |
\[ y(1)=e. \]
(i) | Integration liefert |
\[ y(x) =\int\limits_\xi^xte^{t^2}\,dt+\widetilde C =\frac{1}{2}\,e^{x^2}-\frac{1}{2}\,e^{\xi^2}+\widetilde C =:\frac{1}{2}\,e^{x^2}+C \]
mit \( C\in\mathbb R. \) Das sind alle Lösungen der Gleichung. | |
(ii) | Wir haben |
\[ e=y(1)=\frac{e}{2}+C \quad\mbox{bzw.}\quad C=\frac{e}{2} \]
und erhalten als Lösung des Anfangswertproblems |
\[ y(x)=\frac{1}{2}\,e^{x^2}+\frac{e}{2}\,. \] Damit ist alles gezeigt.\( \qquad\Box \)
21.3.3 Die Gleichung \( y'=g(y) \)
Es sei \( g(y) \) stetig und erfülle \( g(y)\not=0. \) Wir erläutern anschaulich die Methode der Trennung der Variablen. Dazu integrieren wir \( y'=g(y) \) zunächst unbestimmt und erhalten \[ y'(x)=g(y) \quad\mbox{bzw.}\quad \int\frac{y'(x)}{g(y(x))}\,dx=\int dx \quad\mbox{bzw.}\quad \int\frac{du}{g(u)}=\int dx \] mit der Substitution \( u=y(x). \) Es ist also \[ \int\frac{du}{g(u)}=\int\,dx=x+\widetilde C \] mit einer Integrationskonstanten \( \widetilde C\in\mathbb R. \) Umstellen liefert eine Funktion \( x=x(y) \) vermöge \[ x(u)=\int\frac{du}{g(u)}-\widetilde C, \] deren Inverse \( y=y(x) \) die Differentialgleichung löst, was wir als Übung belassen. Beachte dabei, dass wegen \( g(y)\not=0 \) das hierin stehende Integral (nach Wahl von Integrationsgrenzen) streng monoton ist. Hierauf sowie auf die Frage der Eindeutigkeit der Lösung gehen wir im nächsten Paragraphen genauer ein.
Die Integrationskonstante \( \widetilde C \) kann durch eine Anfangsbedingung \( y(\xi)=\eta \) bzw. \( x(\eta)=\xi \) festgelegt werden. Genauer gilt dann \[ x(y)=\xi+\int\limits_\eta^y\frac{du}{g(u)}\,. \]
Beispiel: Betrachte die Gleichung \( y'=y(x) \) mit \( y(x)\gt 0. \) Wir ermitteln \[ x=\int\frac{du}{u}-\widetilde C=\ln|u|-\widetilde C \quad\mbox{bzw.}\quad |y(x)|=e^{x+\widetilde C}=C\cdot e^x\,,\quad C\in\mathbb R. \] Der Betrag \( |y(x)| \) lässt sich durch geeignete Wahl der Konstanten \( C\in\mathbb R \) auflösen, so dass wir schließlich erhalten \[ y(x)=C\cdot e^x\,,\quad C\in\mathbb R. \]
Aufgabe 1: (Gleichungen der Form \( y'=g(y) \))
Zu reellem \( \lambda\in\mathbb R\setminus\{0\} \) betrachten wir die Differentialgleichung \[ y'=\lambda y\quad\mbox{mit}\ y(x)\gt 0. \]
(i) | Bestimmen Sie die Lösungen dieser Gleichung nach den Methoden dieses Paragraphens. |
(ii) | Beweisen Sie, dass damit tatsächlich alle Lösungen der Gleichung bestimmt sind. Werten Sie dazu das Produkt \( \Phi(x)e^{-\lambda x} \) aus mit einer beliebigen Lösung \( \Phi(x). \) |
(iii) | Bestimmen Sie die Lösung der Gleichung zum Anfangswert |
\[ y(0)=1. \]
(i) | Trennung der Variablen liefert wegen \( y\gt 0 \) |
\[ x(y) =\int\frac{dy}{g(y)}-\widetilde C =\frac{1}{\lambda}\,\int\frac{dy}{y}-\widetilde C =\frac{1}{\lambda}\,\ln|y|-\widetilde C. \]
Das stellen wir um und erhalten die Lösungen |
\[ y(x)=\pm e^{\lambda\widetilde C}e^{\lambda x}=:Ce^{\lambda x}\,,\quad C\in\mathbb R. \]
(ii) | Das sind aber alle Lösungen. Um das zu beweisen, sei \( \Phi(x) \) eine beliebige Lösung, d.h. es gilt \( \Phi'=\lambda\Phi. \) Dann folgt nach Ableiten |
\[ (\Phi e^{-\lambda x})' =\Phi'e^{-\lambda x}-\lambda\Phi e^{-\lambda x} =(\Phi'-\lambda\Phi)e^{-\lambda x} =(\lambda\Phi-\lambda\Phi)e^{-\lambda x} =0, \]
d.h. \( \Phi(x)e^{-\lambda x}=\mbox{const} \) und daher \( \Phi(x)=\mbox{const}\cdot e^{\lambda x}. \) Darin sind auch die Lösung mit Nullstellen und auch die Lösung \( y\equiv 0 \) enthalten. | |
(iii) | Wir haben |
\[ 1=y(0)=Ce^{\lambda\cdot 0}=C\quad\mbox{bzw.}\quad C=1 \]
und erhalten als Lösung des Anfangswertproblems |
\[ y(x)=e^{\lambda x}\,. \] Damit ist alles gezeigt.\( \qquad\Box \)
21.3.4 Die Gleichung \( y'=f(x)g(y) \)
Es sei wieder \( g(y) \) stetig und erfülle \( g(y)\not=0. \) Wir wenden die Methode der Trennung der Variablen an und gelangen anschaulich zu \[ G(y):=\int\limits_\eta^y\frac{ds}{g(s)}=\int\limits_\xi^xf(t)\,dt=:F(x),\quad y(\xi)=\eta. \] Können wir auf diese Art und Weise eine Lösung \( y=y(x) \) gewinnen? Wir gehen nach R. Walters Lehrbuch, Kapitel I, §1, Abschnitt VII vor und vervollständigen dabei auch unsere Betrachtungen aus dem vorigen Paragraphen.
Satz: Seien \( f(x) \) in einem Intervall \( I_x \) und \( g(y) \) in einem Intervall \( I_y \) stetig. Sei ferner ein \( y\in\mathring I_y \) mit \( g(\eta)\not=0 \) gewählt. Dann gibt es eine (falls \( \xi \) Randpunkt einseitige) Umgebung von \( \xi\in I_x, \) in der das Anfangswertproblem \[ y'=f(x)g(y),\quad y(\xi)=\eta, \] genau eine Lösung \( y(x) \) besitzt, die sich nach Auflösen von \( G(y)=F(x) \) ergibt.
Wir gehen in drei Schritten vor.
1. | Da \( g(y)\not=0 \) in einer Umgebung um \( \eta \) richtig ist, existiert |
in dieser Umgebung. Dort ist auch \( G'(y)\not=0, \) d.h. \( G(y) \) besitzt lokal eine Inverse \( H(x):=G^{-1}(x). \) Wir führen nun die Methode der Trennung der Variablen aus und erhalten aus \( G(y)=F(x) \) mit der obigen Setzungen für \( F(x) \) sowie \( y=H(G(y)) \) |
Über die Größe der Umgebung von \( \eta \) machen wir keine Aussage. | |
2. | Wir bemerken, dass \( F(x) \) und \( H(x) \) wegen den Voraussetzungen an \( g(y) \) und \( f(x) \) differenzierbar sind. Also ist auch \( y(x)=H(F(x)) \) differenzierbar. Wegen \( F(x)=G(y(x)) \) erhalten wir |
woraus folgt |
Also erfüllt \( y(x) \) die Differentialgleichung. Desweiteren entnehmen wir aus \( F(\xi)=0, \) \( G(\eta)=0, \) somit \( H(0)=\eta \) wegen \( H(x)=G^{-1}(x), \) die Gültigkeit der geforderten Anfangsbedingung |
3. | Es verbleibt die Eindeutigkeit der Lösung zu zeigen. Sei dazu \( z(x) \) eine weitere Lösung des Anfangswertproblems. Dann gilt nahe um \( \xi \) wegen \( g(z)\not=0 \) |
Integration liefert nach Substitution \( s=z(t) \) unter Beachtung von \( z(\xi)=\eta \) |
und damit |
Wegen \( y(x)=H(F(x)) \) folgt daraus \( y(x)=z(x). \) |
Damit ist alles gezeigt.\( \qquad\Box \)
Aufgabe 1: (Gleichungen der Form \( y'=f(x)g(y), \) Teil I)
Wir betrachten die Differentialgleichung \[ y'=e^y\cos x. \]
(i) | Bestimmen Sie die Lösungen dieser Gleichung nach den Methoden dieses Paragraphens. |
(ii) | Bestimmen Sie die Lösung dieser Gleichung zum Anfangswert |
\[ y(0)=1. \]
(i) | Wir berechnen |
\[ \int\frac{dy}{e^y}=-e^{-y}+c_1\,,\quad \int\cos x\,dx=\sin x+c_2 \]
und erhalten nach Gleichsetzen |
\[ -e^{-y}=\sin x-C \quad\mbox{bzw.}\quad y=-\ln(C-\sin x),\quad C\in\mathbb R, \]
unter der Voraussetzung \( C-\sin x\gt 0. \) Damit sind die Lösungen nach der Methode dieses Paragraphens ermittelt. |
(ii) | Wir haben |
\[ 1=y(0)=-\ln(C-\sin 0)=-\ln C \quad\mbox{bzw.}\quad C=\frac{1}{e} \]
und erhalten als Lösung des Anfangswertproblems |
\[ y=-\ln\left(\frac{1}{e}-\sin x\right),\quad\frac{1}{e}-\sin x\gt 0. \] Damit ist alles gezeigt.\( \qquad\Box \)
Aufgabe 2: (Gleichungen der Form \( y'=f(x)g(y), \) Teil II)
Wir betrachten die Differentialgleichung \[ y'=y\cos x,\quad y\gt 0. \]
(i) | Bestimmen Sie die Lösungen dieser Gleichung nach den Methoden dieses Paragraphens. |
(ii) | Beweisen Sie, dass damit tatsächlich alle Lösungen der Gleichung bestimmt sind. |
(iii) | Bestimmen Sie die Lösung dieser Gleichung zum Anfangswert |
\[ y(0)=\pi. \]
(i) | Wir berechnen |
\[ \int\frac{dy}{y}=\ln|y|+c_1\,,\quad \int\cos x\,dx=\sin x+c_2 \]
und erhalten nach Gleichsetzen |
\[ \ln|y|=\sin x-C \quad\mbox{bzw.}\quad y=Ce^{\sin x}\,,\quad C\gt 0. \]
Damit sind die Lösungen nach der Methode dieses Paragraphens ermittelt. | |
(ii) | Damit sind tatsächlich alle Lösungen der Gleichung bestimmt. Ist nämlich \( \Phi(x) \) irgendeine Lösung, so ermitteln wir |
\[ (\Phi e^{-\sin x})' =\Phi'e^{-\sin x}-\Phi\cos xe^{-\sin x} =\Phi\cos xe^{-\sin x}-\Phi\cos xe^{-\sin x} =0 \]
und daher \( \Phi=\mbox{const}\cdot e^{\sin x}. \) In (i) haben wir also alle Lösungen gefunden. |
(iii) | Wir haben |
\[ \pi=y(0)=Ce^{\sin 0}=C \quad\mbox{bzw.}\quad C=\pi \]
und erhalten als Lösung des Anfangswertproblems |
\[ y=\pi e^{\sin x}\,. \] Damit ist alles gezeigt.\( \qquad\Box \)
1. | Was versteht man unter einem uneigentlichen Riemannintegral? |
2. | Wie löst man Gleichungen der Form \( y'=f(x)? \) |
3. | Wie löst man Gleichungen der Form \( y'=g(y)? \) |
4. | Wie löst man Gleichungen der Form \( y'=f(x)g(y)? \) |
21.4.1 Die Gleichung \( y'=f(ax+by+c) \)
Es seien \( a,b,c\in\mathbb R \) mit \( b\not=0. \) Statt \( y(x) \) betrachten wir \[ u(x):=ax+by(x)+c. \] Ist nun \( y(x) \) eine Lösung der Gleichung, so entnehmen wir \[ u'=a+by'=a+bf(u)=:g(u). \] Eine solche Gleichung haben wir aber bereits in ➝ obigem Paragraphen gelöst. Die Ausgangsgleichung wird nun durch \[ y(x)=\frac{1}{b}\,\big\{u(x)-ax-c\big\} \] eindeutig gelöst.
Aufgabe 1: (Gleichungen der Form \( y'=f(ax+by+c) \))
Wir betrachten die Differentialgleichung \[ y'=x+y. \]
(i) | Bestimmen Sie die Lösungen dieser Gleichung nach den Methoden dieses Paragraphens. |
(ii) | Beweisen Sie, dass damit tatsächlich alle Lösungen der Gleichung bestimmt sind. |
(iii) | Bestimmen Sie die Lösung der Gleichung zum Anfangswert |
\[ y(0)=1. \]
(i) | Wir setzen \( u:=x+y \) und berechnen |
\[ u'=1+y'=1+x+y=1+u. \]
Damit folgt |
\[ \int\frac{du}{1+u}=\int dx=x+\widetilde C \quad\mbox{bzw.}\quad \ln|1+u|=x+\widetilde C \]
bzw. |
\[ u=Ce^x-1,\quad C\in\mathbb R. \]
Mit den Methoden dieses Paragraphens erhalten wir damit die Lösungen |
\[ y=Ce^x-x-1,\quad C\in\mathbb R. \]
(ii) | Damit sind tatsächlich alle Lösungen gefunden. Sei nämlich \( \Phi(x) \) irgendeine Lösung der Gleichung. Dann ermitteln wir |
\[ (\Phi e^{-x})' =\Phi'e^{-x}-\Phi e^{-x} =(x+\Phi)e^{-x}-\Phi e^{-x} =xe^{-x}\,. \]
Partielle Integration liefert |
\[ \Phi e^{-x} =\int xe^{-x}\,dx =-xe^{-x}-e^{-x}+C \quad\mbox{bzw.}\quad \Phi=Ce^x-x-1. \]
(iii) | Wir haben |
\[ 1=y(0)=Ce^0-0-1=C-1 \quad\mbox{bzw.}\quad C=2 \]
und erhalten als Lösung des Anfangswertproblems |
\[ y=2e^x-x-1. \] Damit ist alles gezeigt.\( \qquad\Box \)
21.4.2 Die Gleichung \( y'=f(x^{-1}y) \)
Setze jetzt \[ u(x):=\frac{1}{x}\,y(x),\quad x\not=0. \] Nach Differentiation von \( y(x)=xu(x) \) ergibt sich \[ f(u)=y'=u+xu' \] und somit nach Umstellen \[ u'=\frac{f(u)-u}{x}\,,\quad x\not=0. \] Diese Gleichung lässt sich mit der ➝ Methode der Trennung der Variablen lösen.
Aufgabe 1: (Gleichungen der Form \( y'=f(x^{-1}y) \))
Wir betrachten die Differentialgleichung \[ y'=\frac{y}{x}\,,\quad x\gt 0. \]
(i) | Bestimmen Sie die Lösungen dieser Gleichung nach den Methoden dieses Paragraphens. |
(ii) | Bestimmen Sie zu (i) die Lösung der Gleichung zum Anfangswert |
\[ y(1)=1. \]
(i) | Wir setzen \( u:=x^{-1}y \) bzw. \( y=xu. \) Wegen |
\[ y'=u+xu'\,,\quad f(u)=u, \]
ermitteln wir |
\[ u+xu'=u\quad\mbox{bzw.}\quad xu'=0\quad\mbox{bzw.}\quad u'=0. \]
Es folgt mit einem \( C\in\mathbb R \) |
\[ u=C\quad\mbox{bzw.}\quad\frac{y}{x}=C\quad\mbox{bzw.}\quad y=Cx. \]
Damit sind die Lösungen nach den Methoden dieses Paragraphens bestimmt. | |
(ii) | Wir haben |
\[ 1=y(1)=C\cdot 1\quad\mbox{bzw.}\quad C=1 \]
und erhalten als Lösung des Anfangswertproblems |
\[ y=x,\quad x\gt 0. \] Damit ist alles gezeigt.\( \qquad\Box \)