23. Exakte Differentialgleichungen
23.1.1 Ein einführendes Beispiel
Wir betrachten die Kurvenschar \[ x^2+y^2=r^2 \] mit reellem Scharparameter \( r\gt 0. \) Wir unterscheiden zwei Betrachtungsweisen:
\( \circ \) | Über dem Intervall \( (-r,r) \) können wir die Kurven als Funktionen \( y=y(x) \) darstellen. Es folgt nach Differenzieren bez. der Koordinate \( x \) |
\[ 2x+2yy'=0\quad\mbox{bzw.}\quad y'=-\,\frac{x}{y}\,,\ y\not=0. \]
\( \circ \) | Ist \( t\in T \) ein regulärer Kurvenparameter für die Parametrisierung \( (x(t),y(t)), \) so dass also gilt |
\[ \dot x^2+\dot y^2\gt 0\quad\mbox{für alle}\ t\in T, \]
so erhalten wir nach Differenzieren der Gleichung bez. dem Parameter \( t \) |
\[ x\dot x+y\dot y=0. \] Wir haben also zwei differenzielle Darstellungen der Kurvenschar:
\( \circ \) | \( g(x,y)+h(x,y)y'=0 \) bez. der Darstellung \( y=y(x) \) |
\( \circ \) | \( g(x,y)\dot x+h(x,y)\dot y=0 \) bez. der Darstellung \( x=x(t),\ y=y(t) \) |
Aufgabe 1: (Differenzielle Darstellung der Ellipse)
Wir betrachten die Ellipse \[ {\mathcal E}\,:\,\frac{x^2}{a^2}+\frac{y^2}{b^2}=1 \] mit den reellen Halbachsen \( 0\lt a\le b\lt\infty. \)
(i) | Verifizieren Sie, dass für die Darstellung \( y=y(x) \) über \( (-a,a)\subset\mathbb R \) gilt |
\[ y'=\vartheta\cdot\frac{x}{y}\,,\quad y\gt 0, \]
mit der Konstanten |
\[ \vartheta:=\varepsilon^2-1\quad\mbox{und der Exzentrität}\quad\varepsilon:=\sqrt{1-\frac{b^2}{a^2}}\in[0,1)\,. \]
(ii) | Verifizieren Sie, dass eine reguläre parametrische Darstellung \( (x(t),y(t)) \) von \( {\mathcal E} \) erfüllt |
\[ y\dot y=\vartheta\,x\dot x. \]
(i) | Ableiten liefert zunächst |
\[ \frac{x}{a^2}+\frac{yy'}{b^2}=0 \quad\mbox{bzw.}\quad \frac{b^2}{a^2}\,x+yy'=0. \]
bzw. mit den Setzung für \( \varepsilon \) und \( \vartheta \) |
\[ y'=(\varepsilon^2-a)\cdot\frac{x}{y}=\vartheta\cdot\frac{x}{y}\,. \]
(ii) | Ableiten liefert zunächst |
\[ \frac{2x\dot x}{a^2}+\frac{2y\dot y}{b^2}=0 \quad\mbox{bzw.}\quad \frac{b^2}{a^2}\,x\dot x+y\dot y=0. \]
Es folgt |
\[ 0=(1-\varepsilon)x\dot x+y\dot y =-\vartheta x\dot x+y\dot y. \]
Umstellen liefert die behauptete Identität. |
Damit ist alles gezeigt.\( \qquad\Box \)
23.1.2 Differentialgleichungen als Differentialformen
Allgemein wollen wir solche Differentialgleichungen als Differentialform schreiben \[ g(x,y)\,dx+h(x,y)\,dy=0 \tag{\( * \)} \] und verstehen hierunter folgendes:
\( \circ \) | Ist \( y=y(x), \) so verstehen wir \( (*) \) als |
\[ g(x,y)+h(x,y)y'=0. \]
\( \circ \) | Ist \( x=x(y), \) so verstehen wir \( (*) \) als |
\[ g(x,y)x'+h(x,y)=0. \]
\( \circ \) | Ist \( x=x(t), \) \( y=y(t) \) mit einem regulären Kurvenparameter \( t, \) so verstehen wir \( (*) \) als |
\[ g(x,y)\dot x+h(x,y)\dot y=0. \] Auch \( (*) \) bezeichnen wir als Differentialgleichung.
Aufgabe 1: (Differentialgleichungen für den Kreis)
Vorgelegt sei die Gleichung \[ 2x\,dx+2y\,dy=0 \] für einen Kreis vom Radius \( r\gt 0. \) Verifizieren Sie die Gültigkeit folgender Differentialgleichungen:
(i) | \( x+yy'=0 \) für eine Darstellung \( y=y(x) \) mit \( y\not=0 \) |
(ii) | \( xx'+y=0 \) für eine Darstellung \( x=x(y) \) mit \( x\not=0 \) |
(iii) | \( x\dot x+y\dot y=0 \) für eine parametrische Darstellung \( (x(t),y(t)) \) |
Es sind \( g(x,y)=2x \) und \( h(x,y)=2y. \)
(i) | Im Fall \( y=y(x) \) ist |
\[ 2x+2yy'=0 \quad\mbox{bzw.}\quad x+yy'=0. \]
(ii) | Im Fall \( x=x(y) \) ist |
\[ 2xx'+2y=0 \quad\mbox{bzw.}\quad xx'+y=0. \]
(iii) | Im parametrischen Fall ist |
\[ 2x\dot x+2y\dot y=0 \quad\mbox{bzw.}\quad x\dot x+y\dot y=0. \] Damit ist alles gezeigt.\( \qquad\Box \)
23.1.3 Definition exakter Differentialgleichungen
Definition: Die Gleichung \[ g(x,y)\,dx+h(x,y)\,dy=0 \] heißt in der offenen und zusammenhängenden Menge \( D\subseteq\mathbb R^2 \) exakt, falls \( (g,h) \) ein Gradientenfeld in \( D \) darstellt, d.h. falls eine Funktion \( F\in C^1(D,\mathbb R) \) existiert mit \[ F_x(x,y)=g(x,y),\quad F_y(x,y)=h(x,y)\quad\mbox{in}\ D. \] Hierbei heißt \( F(x,y) \) eine Stammfunktion der Differentialgleichung mit Gradientenfeld \( (g,h). \)
Beispiel: Die Gleichung \[ 2x\,dx+2y\,dy=0\quad\mbox{in}\ \mathbb R^2 \] mit \( g(x,y)=2x \) und \( h(x,y)=2y \) ist in \( D=\mathbb R^2 \) exakt mit einer Stammfunktion \[ F(x,y)=x^2+y^2\,,\quad(x,y)\in\mathbb R^2\,, \] denn es sind \( F_x=2x \) und \( F_y=2y. \) Die zugehörigen „Lösungskurven“ sind konzentrische Kreise um den Ursprung mit Radius \( r, \) also \[ F(x,y)=x^2+y^2=r^2\,,\quad r\gt 0. \]
Der Begriff der „Lösungskurve“ wird im Existenzsatz des nächsten Paragraphens noch einmal aufgegriffen.
Aufgabe 1: (Beispiel einer exakten Gleichung I)
Verifizieren Sie, dass die Differentialgleichung \[ 2(x+y)\,dx+2(x+y)\,dy=0\quad\mbox{in}\ \mathbb R^2 \] exakt ist mit einer Stammfunktion \[ F(x,y)=x^2+2xy+y^2\,,\quad(x,y)\in\mathbb R^2\,. \]
Wir berechnen nämlich \[ F_x=2x+2y,\quad F_y=2x+2y, \] woraus die Behauptung folgt.\( \qquad\Box \)
Aufgabe 2: (Beispiel einer exakten Gleichung II)
Verifizieren Sie, dass die Differentialgleichung \[ (2x\sin xy+x^2y\cos xy)\,dx+(x^3\cos xy-3e^y)\,dy\quad\mbox{in}\ \mathbb R^2 \] exakt ist mit einer Stammfunktion \[ F(x,y)=x^2\sin xy-3e^y,\quad(x,y)\in\mathbb R^2\,. \]
Wir berechnen nämlich \[ F_x=2x\sin xy+x^2y\cos xy,\quad F_y=x^3\cos xy-3e^y\,, \] woraus die Behauptung folgt.\( \qquad\Box \)
Für den folgenden Existenzsatz und dessen Beweis verweisen wir auf die Lehrbücher von F. Sauvigny und R. Walter.
Satz: Es seien \( g,h\in C^0(D,\mathbb R). \)
1. | Ist die Gleichung |
\[ g(x,y)\,dx+h(x,y)\,dy=0 \]
in \( D\subseteq\mathbb R^2 \) exakt mit einer Stammfunktion \( F\in C^1(D,\mathbb R), \) so lösen |
\[ x,y\in C^1(T,\mathbb R) \quad\mbox{mit}\quad \mathbb R\supseteq T\ni t\mapsto(x(t),y(t))\subset D \]
als Funktionenpaar \( (x,y) \) genau dann die parametrische Gleichung |
\[ g(x,y)\dot x+h(x,y)\dot y=0\quad\mbox{in}\ T \]
mit regulärem Kurvenparameter \( t\in T, \) falls gilt |
\[ F(x(t),y(t))=\mbox{const}\quad\mbox{in}\ T. \]
Ebenso ist \( y(x) \) eine Lösung, wenn \( F(x,y(x))=\mbox{const} \) in \( I \) richtig ist. |
2. | Gilt außerdem |
\[ g(x,y)^2+h(x,y)^2\gt 0\quad\mbox{in}\ D, \]
so erhält man durch Auflösen von \( F(x,y)=\alpha\in\mathbb R \) alle Lösungskurven | |||||
|
|||||
Durch jeden Punkt von \( D\subseteq\mathbb R^2 \) geht genau eine solche Lösungskurve. |
Wir gehen in zwei Schritten vor.
(i) | Es sei \( g(x,y)\,dx+h(x,y)\,dy=0 \) exakt mit Stammfunktion \( F(x,y). \) Mit zwei regulären Parametrisierungen \( x,y\in C^1(T,\mathbb R) \) berechnen wir |
Es ist \( (x(t),y(t)) \) also genau dann eine Lösung der parametrischen Gleichung, wenn |
richtig ist. Die weitere Behauptung verbleibt als Übung. | |
(ii) | Ist \( (\xi,\eta)\in D \) mit \( F(\xi,\eta)=\alpha, \) so ist |
nahe \( (\xi,\eta)\in D \) auflösbar nach \( x \) oder \( y \) nach dem Satz über implizite Funktionen, da wegen \( g=F_x, \) \( h=F_y \) und - nach Voraussetzung - \( g^2+h^2\gt 0 \) folgen \( F_x\not=0 \) oder \( F_y\not=0. \) Ist etwa |
so existiert eine Umgebung \( U\subset\mathbb R^2, \) in welcher \( F(x,y)=\alpha \) nach \( y=y(x) \) auflösbar ist. Anschließende Differentiation nach \( x \) bringt |
Damit schließen wir unsere Beweisidee ab.\( \qquad\Box \)
1. | Wie schreiben wir Differentialgleichungen als Differentialform? |
2. | Was versteht man unter einer exakten Differentialgleichung? |
3. | Was besagt der Existenzsatz aus Paragraph 23.1.4? |
23.2.1 Eine Integrabilitätsbedingung
Auch für das nun Folgende verweisen wir auf F. Sauvignys Lehrbuch zur Analysis. Wir nehmen dabei bereits ein Resultat über Differentialformen aus der Vorlesung Analysis 3 voraus.
Satz: Es sei \( D\subseteq\mathbb R^2 \) offen und einfach zusammenhängend. Sind \( g,h\in C^1(D,\mathbb R), \) so existiert eine Stammfunktion \( F\in C^2(D,\mathbb R) \) der Gleichung \[ g(x,y)\,dx+h(x,y)\,dy=0\quad\mbox{in}\ D \] mit den charakteristischen Eigenschaften \[ F_x(x,y)=g(x,y),\quad F_y(x,y)=h(x,y) \quad\mbox{in}\ D \] genau dann, wenn folgende Integrabilitätsbedingung erfüllt sind\[ g_y(x,y)=h_x(x,y)\quad\mbox{in}\ D. \]
Es sei \( (\xi,\eta)\in D, \) und es sei \[ R:=\{(x,y)\in D\,:\,x\in(\xi-\alpha,\xi+\alpha),\ y\in(\eta-\beta,\eta+\beta)\}\subset D \] ein Rechteck mit den Seitenlängen \( 2\alpha \) und \( 2\beta. \) Wir zeigen die Behauptung nur lokal im Rechteck \( R. \)
(i) | Die Differentialgleichung sei in \( D \) und damit in \( R \) exakt. Dann existiert ein \( F\in C^2(R,\mathbb R) \) mit \( F_x=g \) und \( F_y=h \) in \( R. \) Es folgen nach nochmaligem Differenzieren |
und wegen \( F_{xy}=F_{yx} \) nach dem Satz von Schwarz folgt die eine Behauptung |
(ii) | Es gelte nun \( h_x=g_y \) in \( R. \) Wir setzen (skizzieren Sie sich diese Situation) |
Differentiation liefert nach dem Fundamentalsatz der Differential- und Integralrechnung |
Die Ableitung auf der rechten Seite berechnen wir wie folgt: Zunächst ist |
Nach dem Mittelwertsatz existiert für jedes \( t\in[\eta,y] \) ein \( \varepsilon_t\in[0,\varepsilon] \) mit |
Das setzen wir in vorigen Grenzwert ein und erhalten |
unter Beachtung von \( h_x\in C^0(D,\mathbb R). \) Damit kommen wir zur Berechnung von \( F_x(x,y) \) zurück: Die Integrabilitätsbedingung liefert |
Entsprechend zeigt man \( F_y=h \) in \( R, \) d.h. \( (g,h) \) ist ein Gradientenfeld mit Stammfunktion \( F(x,y). \) |
Damit ist alles gezeigt.\( \qquad\Box \)
Aufgabe 1: (Exakte Gleichungen und Integrabilitätsbedingung I)
Betrachten Sie die Differentialgleichung \[ 2x\,dx+2y\,dy=0\quad\mbox{in}\ \mathbb R^2\,. \]
(i) | Begründen Sie unter Verwendung der Integrabilitätsbedingung, dass die Gleichung exakt in \( \mathbb R^2 \) ist. |
(ii) | Verifizieren Sie, dass |
\[ F(x,y)=x^2+y^2\,,\quad(x,y)\in\mathbb R^2\,, \]
eine Stammfunktion der Gleichung ist. | |
(iii) | Bestimmen Sie die durch \( (x,y)=(0,1) \) verlaufende Lösungskurve der Lösungsschar |
\[ F(x,y)=\mbox{const} \]
Interpretieren Sie die Lösung geometrisch. |
Es sind \( g(x,y)=2x \) und \( h(x,y)=2y. \)
(i) | Wir berechnen |
\[ g_y=0,\quad h_x=0, \]
und damit gilt die Integrabilitätsbedingung \( g_y=h_x. \) | |
(ii) | Wir berechnen |
\[ F_x=2x,\quad F_y=2y \]
und damit \( F_x=g \) und \( F_y=h. \) Also ist \( F(x,y) \) eine Stammfunktion. | |
(iii) | Wir bestimmen die Integrationskonstante \( C\in\mathbb R \) in \( F(0,1)=C, \) genauer |
\[ C=F(0,1)=x^2+y^2\,\Big|_{(x,y)=(0,1)}=1,\quad \mbox{d.h.}\quad C=1. \]
Die durch \( (0,1)\in\mathbb R^2 \) verlaufende Lösungskurve ist also |
\[ x^2+y^2=1. \]
Es handelt sich um einen Einheitskreis vom Radius \( 1. \) |
Damit ist alles gezeigt.\( \qquad\Box \)
Aufgabe 2: (Exakte Gleichungen und Integrabilitätsbedingung II)
Betrachten Sie die Differentialgleichung \[ (2x+4y+2)\,dx+(4x+12y+8)\,dy=0\quad\mbox{in}\ \mathbb R^2\,. \]
(i) | Begründen Sie unter Verwendung der Integrabilitätsbedingung, dass die Gleichung exakt in \( \mathbb R^2 \) ist. |
(ii) | Verifizieren Sie, dass |
\[ F(x,y)=x^2+4xy+2x+6y^2+8y,\quad(x,y)\in\mathbb R^2\,, \]
eine Stammfunktion der Gleichung ist. | |
(iii) | Bestimmen Sie die durch \( (x,y)=(0,-1) \) verlaufende Lösungskurve der Lösungsschar |
\[ F(x,y)=\mbox{const} \]
Interpretieren Sie die Lösung geometrisch. |
Es sind \( g(x,y)=2x+4y+2 \) und \( h(x,y)=4x+12y+8. \)
(i) | Wir berechnen |
\[ g_y=4,\quad h_x=4, \]
und damit gilt die Integrabilitätsbedingung \( g_y=h_x. \) | |
(ii) | Wir berechnen |
\[ F_x=2x+4y+2,\quad F_y=4x+12y+8 \]
und damit \( F_x=g \) und \( F_y=h. \) Also ist \( F(x,y) \) eine Stammfunktion. | |
(iii) | Wir bestimmen die Integrationskonstante \( C\in\mathbb R \) in \( F(0,-1)=C, \) genauer |
\[ C=F(0,-1)=x^2+4xy+6y^2+8y\,\Big|_{(x,y)=(0,-1)}=6-8=-2,\quad \mbox{d.h.}\quad C=-2. \]
Die durch \( (0,-1)\in\mathbb R^2 \) verlaufende Lösungskurve ist also |
\[ x^2+4xy+6y^2+8y=-2 \quad\mbox{bzw.}\quad (x+2y+1)^2+2(y+1)^2=1. \]
Es handelt sich um eine Ellipse. |
Damit ist alles gezeigt.\( \qquad\Box \)
23.2.2 Praktische Bestimmung einer Stammfunktion
Wie finden wir ein \( F(x,y) \) mit den Eigenschaften \[ F_x(x,y)=g(x,y),\quad F_y(x,y)=h(x,y)? \]
\( \circ \) | Eventuell ist beispielsweise \( g(x,y) \) vermittels bekannter Rechenregeln nach \( x \) integrierbar. Das Integral besitzt dann eine Funktion \( C(y) \) als „Integrationskonstante“, welche sich aus \( F_y=h \) bestimmen lassen wird. |
\( \circ \) | Nach obigem Beweis ergibt sich eine Stammfunktion aus den dort angegebenen Integralen oder eventuell allgemeiner als Wegintegral |
\[ F(x,y)=\int\limits_{(\xi,\eta)}^{(x,y)}\big\{g(s,t)\,dt+h(s,t)\,dt\big\}\,. \]
Wegintegrale werden wir detailliert in der Analysis 3 diskutieren. |
Aufgabe 1: (Bestimmen von Stammfunktionen)
Betrachten Sie die Differentialgleichung \[ (6x-7y+2)\,dx-(7x-2y+1)\,dy=0\quad\mbox{in}\ \mathbb R^2\,. \]
(i) | Begründen Sie, dass die Gleichung exakt ist. |
(ii) | Geben Sie eine Stammfunktion \( F(x,y) \) an. |
Es sind \( g(x,y)=6x-7y+2 \) und \( h(x,y)=-7x+2y-1. \)
(i) | Wir berechnen |
\[ g_y=-7,\quad h_x=-7, \]
d.h. es ist die Integrabilitätsbedingung \( g_y=h_x \) in \( \mathbb R^2 \) erfüllt. Es existiert also eine Stammfunktion, und die Gleichung ist in \( \mathbb R^2 \) exakt. | |
(ii) | Eine Stammfunktion \( F(x,y) \) genügt |
\[ F_x=g=6x-7y+2,\quad F_y=h=-7x+2y-1. \]
Wir integrieren \( F_x \) nach \( x \) und erhalten mit einer von \( y \) abhängigen Integrationskonstanten \( C(y) \) |
\[ F(x,y)=3x^2-7xy+2x+C(y). \]
Das wiederum differenzieren wir nach \( y \) und vergleichen mit \( F_y=h, \) genauer |
\[ -7x+C'(y)=-7x+2y-1 \quad\mbox{bzw.}\quad C'(y)=2y-1, \]
also etwa \( C(y)=y^2-y. \) Das setzen wir in obige Darstellung von \( F(x,y) \) und erhalten mit |
\[ F(x,y)=3x^2-7xy+2x+y^2-y \]
eine Stammfunktion der Gleichung. |
Damit ist alles gezeigt.\( \qquad\Box \)
23.2.3 Die Eulersche Multiplikatorregel
Zur Lösung exakter Gleichungen \( g\,dx+h\,dy=0 \) haben wir den Begriff der Stammfunktion kennenglernt. Nichtexakte Gleichungen können eventuell durch Multiplikation mit einer Funkion zu exakten Gleichungen werden.
Definition: Es seien \( g,h\in C^0(D,\mathbb R) \) stetig. Es heißt \( M(x,y)\not=0 \) ein integrierender Faktor oder Eulerscher Multiplikator der Differentialgleichung \[ g(x,y)\,dx+h(x,y)\,dy=0\quad\mbox{in}\ D, \] wenn die neue Gleichung \[ M(x,y)g(x,y)\,dx+M(x,y)h(x,y)\,dy=0 \] exakt in \( D\subseteq\mathbb R^2 \) ist.
Der folgende Satz ist ein unmittelbares Resultat obiger Integrabilitätsbedingung. Einen Beweis belassen wir als Übung.
Satz: Es sei \( D\subseteq\mathbb R^2 \) offen und einfach zusammenhängend, und es seien \( g,h\in C^1(D,\mathbb R). \) Dann ist \( M(x,y) \) genau dann ein Eulerscher Multiplikator, wenn gilt \[ \begin{array}{l} (Mg)_y=(Mh)_x\quad\mbox{bzw.} \\ M_yg+Mg_y=M_xh+Mh_x\quad\mbox{in}\ D. \end{array} \]
Zum Auffinden eines Eulerschen Multiplikators ist also eine partielle Differentialgleichung zu lösen. Folgende hinreichende Existenzbedingung finden wir im Lehrbuch von F. Sauvigny.
Satz: In einer Umgebung \( U\subset D\subseteq\mathbb R^2 \) des Punktes \( (\xi,\eta)\in\mathbb R^2 \) seien \( g,h\in C^2(U,\mathbb R). \) Es gelte \[ g(x,y)^2+h(x,y)^2\gt 0\quad\mbox{in}\ U. \] Dann gibt es eine Umgebung \( V\subset U \) von \( (\xi,\eta), \) hierin ein \( F\in C^2(V,\mathbb R) \) sowie einen Eulerschen Multiplikator \( M\in C^2(V,\mathbb R\setminus\{0\}), \) so dass richtig sind \[ F_x=Mg,\quad F_y=Mh\quad\mbox{in}\ V. \] In der Umgebung \( V\subset U \) ist die Gleichung \( Mg\,dx+Mh\,dy=0 \) also exakt.
Aufgabe 1: (Ein spezieller Eulermultiplikator)
(i) | Zeigen Sie: Ist \( M(x,y), \) wie in der Vorlesung, ein Eulerscher Multiplikator, der aber nur von \( y \) abhängt, so ist |
\[ \frac{M'}{M}=\frac{h_x-g_y}{g}\,,\quad g\not=0. \]
(ii) | Finden Sie einen solchen Multiplikator zur Gleichung |
\[ y\,dx+(2xy^2+x)\,dy=0,\quad y\gt 0, \]
und lösen Sie diese Gleichung (eventuell auch nur implizit). |
(i) | Hängt \( M(x,y) \) nur von \( y \) ab, so gilt |
\[ M'g+Mg_y=Mh_x \quad\mbox{bzw.}\quad \frac{M'}{M}=\frac{h_x-g_y}{g}\,,\quad g\not=0. \]
(ii) | Es sind \( g(x,y)=y \) und \( h(x,y)=2xy^2+x, \) also |
\[ g_y=1,\quad h_x=2y^2+1 \]
und damit \( g_y\not=h_x, \) d.h. die Gleichung ist nicht exakt. Angenommen, mit \( M(y) \) liege ein nur von \( y \) abhängiger Eulerscher Multiplikator vor. Dieser erfüllt |
\[ \frac{M'(y)}{M(y)}=\frac{h_x-g_y}{g}=\frac{2y^2+1-1}{y}=\frac{2y^2}{y}=2y,\quad y\gt 0, \]
und damit nach Umstellen |
\[ M'(y)=2yM(y) \quad\mbox{bzw.}\quad M(y)=e^{y^2}\,,\quad y\gt 0. \]
Die neue Gleichung |
\[ ye^{y^2}\,dx+(2xy^2+x)e^{y^2}\,dy=0,\quad y\gt 0, \]
ist in \( \{(x,y)\in\mathbb R^2\,:\,y\gt 0\} \) exakt, wie man leicht nachprüft. Es existiert dort also eine Stammfunktion \( F(x,y) \) mit |
\[ F_x=ye^{y^2}\,,\quad F_y=(2xy^2+x)e^{y^2}\,. \]
Wir integrieren die erste Gleichung nach \( x \) und erhalten |
\[ F=xye^{y^2}+C(y) \]
mit einer von \( y \) abhängigen Integrationskonstanten \( C(y). \) Ableiten nach \( y \) bringt wiederum |
\[ F_y=xe^{y^2}+2xy^2e^{y^2}+C'(y)=(2xy^2+x)e^{y^2} \quad\mbox{bzw.}\quad C'(y)=0. \]
Wir wählen \( C=0 \) und erhalten als eine Stammfunktion |
\[ F(x,y)=xye^{y^2}\,. \]
Die ursprüngliche Gleichung wird also gelöst von |
\[ xye^{y^2}=C,\quad C\in\mathbb R. \]